Wahlempfehlung

Wahlempfehlung

Seit immer mehr Parteien auf den Blockbuster-Effekt hoffend sich dem Mythos Mittelstand anbiedern und dabei alle eigenen Werte verraten, wird eine Wahl immer schwieriger. Weil deshalb immer mehr Leute frustriert auf ihr Wahlrecht verzichten wollen, habe ich eine kleine Umfrage gemacht, die ich hier veröffentlichen will. Möge sie manchen als Anregung dienen.

Da umweltpolitische, soziale oder sonstige ethische Mißstände oft mit wirtschaftlichen Zwängen begründet werden, habe ich ausgehend von den Gedanken in der Selbermacherei zur Budgetkonsolidierung im derzeit seltsamerweise beliebtesten virtuellen Netzwerk allen zur Wahl antretenden Parteien folgende Frage gestellt:
„Warum müssen für Finanzprodukte und importierte Dienstleistungen keine USt gezahlt werden?“ Diese Frage habe ich auch gewählt, weil sie einen gesetzeswidrigen Mißstand darstellt, gegen den aktiv zu werden nicht unbedingt einen Platz im Parlament braucht. Hier können alle etwas dagegen tun, egal ob ob im Parlament oder in der Regierung vertreten, und egal ob mehr am Gemeinwohl, Nachhaltigkeit, Vielfalt oder an Rechtsstaatlichkeit interessiert.

Obwohl manche Parteien ein Werbebudget haben, von dem in Afrika ganze Ethnien überleben könnten, beschäftigen sie nicht viele Leute in ihren viralen Kommunikationsschnittstellen. Da brodelt die Unzufriedenheit gewaltig knapp an der Grenze zu Shitstorms. Und in typisch österreichischer Tradition wird in einer Weise nicht darauf reagiert, daß ich mich jetzt schon herzlich beim Leser dieser Zeilen für den im Folgenden etwas häufigen Gebrauch verschiedener Varianten des Begriffs Ignoranz entschuldigen muß.
Bei der Partei am rechten Rand fand ich gar keine Facebug-Parteiseite sondern nur eine des blauäugigen Spitzenkandidaten. Dort konnte ich nicht posten, ohne ihn zu mögen, und auf meine wiederholten persönlichen Nachrichten gab es keine Reaktion. Auch als ich schließlich Bilder auf seiner Seite mit meiner Frage kommentierte, wurde das einfach nicht beachtet. Ignoranz zeichnet keinen guten Politiker aus.

Leider war’s mit den anderen beiden bekannten bürgerlichen Parteien, die sich als christlich oder umweltschützend bezeichnen und genau das Gegenteil tun, nicht anders. Meine wiederholten Fragen wurden ebenso wie der darin angesprochene gesetzeswidrige Mißstand einfach ignoriert. Schade!
Achja! Der Ordnung halber muß ich erwähnen, daß ich mit den Pseudochristen tatsächlich die Partei meine, die unter dem Mantel christlicher Tradition unverantwortlich den Abverkauf unseres Staates betreibt. Die österreichische Parteienvielfalt ist viel größer, als in den Medien dargestellt, dieses Thema sei aber später thematisiert. Der Widerspruch zwischen Selbstbeschreibung und politischer Praxis ist verwirrend genug.
Ich bin ja schon lange immer wieder schockiert, wie unchristlich Politiker handeln können, die von sich behaupten, christliche Werte zu vertreten. Integrität gilt inzwischen sogar schon als politisches Karrierehindernis. Deshalb wunderte mich auch die Ignoranz gar nicht. Es wundert mich nur noch, wie so viele Leute auf so offensichtliche Verlogenheit hereinfallen können.
Die ehemals Grünen warben zwar auf ihrer Seite fleißig damit, wirklich alle Fragen zu beantworten, nur taten sie’s eben auch überhaupt nicht. Ja, keine einzige Antwort! Selbst hier zeigt sich wieder, wie sehr diese früher so vielversprechende Partei nur redet und nichts davon tut.
Die ehemals sozialistischen Konservativen antworteten mir nach langem Nachfragen schließlich mit der (absichtlichen?) Falschinformation, daß die Kapitalertrags- & Kursgewinnsteuer die USt ersetzen würden. Mein Einwand, daß doch jeder andere Produzent auch Umsatzsteuer UND Lohn- bzw. Ertragssteuer zahlen muß, blieb wieder ignorant unbeantwortet. Auf wiederholtes Fragen wurde nur immer wieder dieselbe Falschinformation kopiert ohne je meine Einwände und Hintergrundinformationen zu lesen. Entweder beeinträchtigen jahrzehntelange Proporz-Stellungskämpfe das Denken, oder es geht auch hier um verlogene, korrupte Interessensverschleierung.

Manche der Kleinparteien antworteten mehr aber deshalb nicht kompetenter.
Standardtenor war „Warum fragst Du uns? Wir sind nicht dafür verantwortlich.“ Wenn Politiker nur die eigenen Fehler gut machen aber sonst keine Mißstände beseitigen wollen, erwartet uns keine rosige Zukunft. Meine Frage, „Was tut Ihr konkret gegen diese gesetzeswidrige Ungleichbehandlung?“ wurde entweder uminterpretiert in, was sie tun würden, wenn sie in der Regierung wären, oder wieder ignoriert. Die Geschichte hat uns immer wieder gelehrt, daß nur auf Versprechungen hin keine Verantwortung übergeben werden sollte. Wer wirklich etwas ändern will, nutzt gleich alle Möglichkeiten und wartet nicht, bis er gewählt wurde, oder das jüngste Gericht alles entscheidet.

Um nicht alle in einen Topf zu werfen: Einige Kleinparteien waren schlimmer als die anderen. Die kleine, hellbraune Splitterpartei der reinrassigen Blauaugen behauptete hetzerisch, „Lobbyisten für Banken, Investmentfonds und Versicherungen wollen die Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte zu Fall bringen,“ aber sie würden das nicht zulassen. Nachdem ich entgegnete, daß sie entweder auch zu diesen Lobbyisten zählten oder einfach nur ungebildet seien, wenn sie dies behaupteten, weil nichts zu Fall gebracht werden kann, was es (noch) gar nicht gäbe, wurde der Beitrag einfach gelöscht und ich auf Ihrer Seite geblockt. So kritik- & kommunikationsunfähige Leute braucht kein Parlament.

Das Team des älteren Milliardärs meinte nach einigen Falschinformationen nur: „Auch der durchschnittliche Konsument kann die Steuer ja ganz normal absetzen.“ Dies zeigt, wie wenig Ahnung manche Möchtegern-Volksvertreter von der Realität der working-poor-Mehrheit haben. Danach gab’s auch keine Antworten mehr.
Im Team des etwas jüngeren Milliardärs entschuldigte sich ein engagierter Mitarbeiter zumindest höflich für das Nicht-beantworten, schrieb mehrmals sehr ausführlich über ihr tolles Programm, aber zu meinen Fragen hatte er auch keine Antworten. Meine wiederholte Frage, was seine Partei denn überhaupt jetzt schon konkret tue, wurde leider auch immer nur mit dem angeblich so tollen Programm ignoriert. Seit Nobelpreise für heiße Luft vergeben werden, scheint konkretes Engagement nicht mehr modern zu sein.

Für mich zählt ja auch in anderen Lebensbereichen mehr, was jemand tut, als wer jemand ist, oder was jemand sagt. „An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen.“ Nicht an Programmen und Versprechen. Wer sich nicht konkret für eine lebenswertere Welt einsetzt, wird dies auch mit mehr Möglichkeiten nicht tun. Wer sich nur selbst beweihräuchert, braucht dafür meine Stimme nicht.

Aber wem soll ich nun meine Stimme geben?

Selbst als ich meine Fragen zwitschernd an alle Parteien sendete, kamen nur von einer Partei Antworten. Die so oft als veraltet hingestellten Kommunisten waren die einzigen, mit denen ein sinnvoller Dialog entstand. Zumindest ist dieser und mancher anderen Kleinpartei zu Gute zu halten, daß sie sich mit ihren wenigen Möglichkeiten schon länger konkret, engagiert und integer für Mieter-, Daten- oder Konsumentenschutz einsetzen. Vielleicht würden sie tatsächlich wie versprochen auch im Parlament dafür oder zumindest für eine Finanztransaktionssteuer kämpfen. Das erklärt zwar nicht, warum sie (noch) nichts gegen die Befreiung von Finanzprodukten und multinationalen Dienstleitungen tun, denn die ist unabhängig von einer Finanztransaktionssteuer und schon längere Zeit gesetzeswidrig. Es hätte deshalb schon lange etwas dagegen getan werden können – unabhängig von einem Sitz im Parlament, egal ob gerade Wahlen sind oder nicht. Und irgendwie tröstet genau dieser Gedanke. Die Zeit nach den Wahlen ist nicht nur die Zeit enttäuschter Hoffnungen & gebrochener Versprechen sondern auch die Zeit von Engagement, das unabhängig ist von einer veralteten und sich selber immer mehr in die Unwichtigkeit drängenden parlamentarischen Parteipolitik. Strukturen & Blöcke, die beginnen, ebenso wie die Kammern als historisch wichtige Relikte aus dem Ständestaat im besten Fall noch Dienstleistungsfunktionen bieten zu können.
Veränderungen geschehen woanders.

Aber um nochmal auf das versteckte Spektrum an Wahlmöglichkeiten zurückzukommen: Ich habe selber lange nicht realisiert, daß fast doppelt so viele Parteien zur Nationalratswahl antreten, wie in den Medien vorgestellt wurden. Nichtparlamentarische Projekte werden totgeschwiegen. Wir werden lieber mit einer inhaltslosen Boulevard-Berichterstattung gelangweilt. Deshalb konnte ich diesen sehr unterschiedlichen und engagierten Bewegungen erst sehr kurzfristig meine Fragen stellen. Falls da noch Antworten kommen, ergänze ich meinen Bericht gerne.
Um trotzdem noch eine Wahlempfehlung abzugeben: Bevor ich nicht wähle, überlege ich lieber: Welchen einzelnen Menschen hätte ich gerne (vielleicht auch alleine) im Parlament sitzen? Um für ein Menschenrecht wie das Recht auf Essen oder eine Wohnung, Asyl oder Gleichbehandlung oder den Schutz persönlicher Daten einzustehen. Oder einfach nur, weil ich nicht die Dümmsten, Verlogensten, Ignorantesten oder Langweiligsten alles entscheiden lassen will.
Nicht oder ungültig wählen wird seit Jahrzehnten nur als Desinteresse interpretiert. Wer protestieren will, wird das also mit der Wahl der KPÖ oder einer anderen Kleinstpartei sicher besser tun können. Selbst wenn diese nicht über die demokaratiepolitisch fragwürdige Vier-Prozent-Hürde kommt, so wird die Stimme zumindest unter „Sonstige“ gezählt und so die Unzufriedenheit und die ungerechte Großparteienbevorzugung unseres Wahlsystems thematisiert. Es ist in der Politik wie in der Wirtschaft: Die Großen fressen die Kleinen bis zur Diktatur des Monopols. Meinungsvielfalt und Diversität leiden schon genug unter dem anfangs erwähnten Blockbuster-Effekt. Aber dazu ein andermal.

 

 

Ergänzung:
Sehr spät & spärlich aber immerhin doch haben die so netzaffinen Piraten reagiert.
Und wegen der medialen Ungleichbehandlung kam auch erst kurzfristig mit den linken Kleinstparteien „Der Wandel“ und „SLP“ ein Gespräch zustande. Warum diese lieber Unterschiede als Gemeinsamkeiten finden und keine nennenswerte linke Union bilden können, weiß ich noch immer nicht.

Und jetzt kommt das dicke Ende: Als ich diese Analyse den befragten Parteien rückmeldete, wurde der Link von einigen Partei-Seiten gelöscht, und ich gesperrt. Und als eine Freundin deshalb nachfragte, wurde auch sie gesperrt. Kritikfähigkeit ist ja nicht allen gegeben, aber das schmeckt schon sehr nach diktatorischer Zensur. Damit zeigt sich, daß nicht nur die Rechten beängstigende Probleme mit der Meinungsfreiheit haben, sondern genauso auch die, die am meisten auf Rechts schimpfen. Aber zu diesem Phänomen des Dualismus auch ein andermal mehr.

 

Da dieser Text aus gegebenem Anlaß großteils spätnachts und leider ohne Gegenleser_in geschrieben wurde, bitte ich höflich, mir Rechtschreib- oder sonstige Fehler, Unklarheiten, ergänzende Meinungen und Ideen konstruktiv mitzuteilen.