So macht Demonstrieren Spaß! - die Donnerstagsdemo am 19. September 2024

So macht Demonstrieren Spaß! – die Donnerstagsdemo am 19. September 2024

Ich komme etwas verschwitzt am Platz der Menschenrechte an. Auf meinem alten klapprigen Fahrrad ist eine schwere Satteltasche mit Tee und Kaffee und am Anhänger steht eine noch viel schwerere, alte Soundbox, ein Klapptisch für gerettetes Essen, Schilder und Transpis für die Donnerstagsdemos, die ich seit fast vier Jahren jede Woche ohne Ausnahme organisiere und mit zwei bis drei anderen Leuten veranstalte. Auf dem Weg hierher wurde ich heute nur von zwei Taxifahrern gefährlich geschnitten und wüst beschimpft.

Auf dem Platz ist schon viel los. Direkt beim Marcus Omofuma Denkmal, wo wir immer stehen, steht heut eine große Bühne einer Leseveranstaltung der Stadt Wien. Die Brandschutz-Vorschriften, wegen denen wir auch bei stärkstem Sturm nicht mehr Schutz an der Mauer zum Museumsquartier suchen dürfen, gilt für die Stadt Wien offenbar nicht. Die Verantwortliche weiß nichtmal von dieser Vorschrift, wegen der uns die Polizei sogar schon verjagen wollte. Und natürlich weiß sie auch nichts davon, daß wir eine genahmigte Demonstration hier machen. Ist ja erst zum vierten Mal, daß das jetzt gleichzeitig ist. Und sie zeigt auch überhaupt keine Kompromißbereitschaft, sagt uns nicht, wie lange ihre Lesung noch stattfindet, meint nur, ich solle doch die Polizei rufen, unterbricht mich ständig mitten im Satz, und wirft mir dann vor, ich sei engstirnig und respektlos.

Beim Aufbauen der Donnerstagsdemo. Nebenan sind Demonstrierende, die lieber weggräumen als mit uns etwas zu tun zu haben.

Wenige Meter neben der Bühne stehen einige Leute von Amnesty. Ich unterstütze diese Organisation schon lange und habe sie seit vier Jahren immer wieder eingeladen, bei uns auf der Donnerstagsdemo mitzumachen. Auch jetzt sage ich den Leuten, daß sie als unsere Gäste herzlich willkommen sind, aber sie beenden ihre Demo lieber, bevor unsere beginnt, und wollen mit uns nichts zu tun haben.
Ein wenig weiter spielt ein Straßenmusiker ziemlich laute Musik. Auch ihn lade ich zu uns ein und bitte ihn, bei unserem Gedenken kurz ruhiger zu werden, aber so lange bleibt er nicht.

Nachdem wir zu dritt alles aufgenaut haben, das gerettete Essen, Tees, Kaffe, Häferl, Flyer und die Unterschriftenliste eines Naturschutzprojektes am Klapptisch liegen, das Transpi hängt, und nach einigem Warten endlich auch der Soundcheck gemacht werden konnte, ohne die unkooperative Lesung zu stören, bei der sogar extra provokant auf der Bühne davon gesprochen wurde, daß „jede Minute noch beansprucht werden muß“, bemerke ich, daß etwas abseits ein Wagen der ARD steht. Ich gehe hin und spreche den Kameramann an, ob es einen bestimmten Grund gäbe, warum er hier sei. Nein, sie filmten einfach so und müßten eh schon wieder weg. Ich meine, daß dies sehr schade sei, daß ich sie eh schon mehrmals auf Insta kontaktiert hätte, und daß wir das perfekte Beispiel seien, warum z.B. Klima-Aktivisti mit ihren Aktionen immer extremer werden müßten, weil wir seit fast vier Jahren bald 200 Demos gemacht hätten, aber zu wenig stören würden, und deshalb noch nie über uns berichtet würde. Falls Sie also einen selbstkritischen Beitrag über die Verantwortung der Medien machen wollten, wäre jetzt eine gute Gelegenheit. Nein, leider keine Zeit!

Bedrängt zwischen fremden Bühnen und anderen Demonstrationen finden wir kaum noch Platz.

Normalerweise beginnen wir unsere Demo immer damit, der Todesopfer dieser Regierungspolitik zu gedenken. Das hat bei uns Tradition, weil am Anfang, vor bald vier Jahren, ja noch Lockdowns waren. Obwohl sich bei uns mit Masken und Abstand an der frischen Luft nachweislich nie jemand angesteckt hatte, wurde uns vorgeworfen, wir seien unverantwortlich. Es ginge ja um Menschenleben! Ja, es geht auch um Femizide, Pushbacks, um die vielen Opfer des fehlenden Klimaschutzen und noch vieler anderer Gründe, die wir immer aufzählen – und um die Opfer einer Verkerspolitik in der noch immer viel zu sehr das Recht des Stärkeren gilt. Und weil heute eines dieser Opfer, das vor kurzem genau an der Kreuzung nebenan von einem rücksichtslosen Autofahrenden umgebracht wurde, ganz speziell mit einem Ghost-Bike gedacht werden soll, warten wir heute mit unserem Gedenken, bis diese Ghost-Bike-Demo hier eintrifft.
Ich habe schon im Vorfeld die Veranstalterinnen dieser Ghost-Bike-Demo kontaktiert, und ihnen versichert, daß sie herzlich bei uns willkommen sind. Sonst hätten sie Ihre Demonstration gar nicht veranstalten dürfen, weil eigentlich eine Bannmeile zwischen Demos gilt. Auf meine Frage, wie wir sie sonst noch unterstützen können, wurde leider nicht geantwortet.
Wir spielen Musik zum Thema Verkehr und Umweltschutz und sprechen am vorgezogenen Open Mic darüber, daß Autos für die Leute drinnen immer sicherer aber gerade deshalb für die Menschen außerhalb immer gefährlicher werden.
Passenderweise läuft gerade das Lied „Respect the people“, als der Trauerzug näher kommt. Ich erkläre nochmal am Mikrophon, warum wir aus eben diesem Respekt jetzt eine Pause machen und danach dann mit über einer Stunde Verspätung unser üblicherweise am Anfang stattfindendes Gedenken und das andere Standardprogramm fortsetzen werden. Dann gehe ich zur Kreuzung und zeige Solidarität.
Nach einem Lied und einigen Reden, als die Person mit der Soundbox und dem Mikro ebendieses wegräumen will, frage ich ihn, ob ihr Programm jetzt beendet ist. Als er bejaht, frage ich, ob ich ganz kurz zur Donnerstagsdemo einladen darf. Als er auch das bejaht und mir das Mikro in die Hand drückt, sage ich kurz, daß alle ganz herzlich willkommen sind, nebenan bei uns noch ein wenig weiter zu gedenken und sich mit gerettetem Essen und gratis Getränken zu stärken.
Darauf stürzt einer der Veranstalter auf mich zu. Er kennt mich, weil ich auf einer seiner Demos vor bald zwei Jahren gezielt von der Polizei herausgepickt und abgeführt wurde. Ich hatte ihn damals vergeblich gebeten mir zu helfen, um die Sache mit der Polizei zu klären. Als Folge dieser Klärungsversuche wurde mir Monate später noch eine Anzeige nachgeschoben, wegen der in drei Wochen die Gerichtsverhandlung sein wird. Dabei soll ein neuer Präzedentfall nach dem Mediengesetz geschaffen werden, um Stickern zu illegalisieren. Das betrifft auch alle anderen engagierten Menschen und zivilgesellschaftlichen Organisationen (und eigenlich auch kommerzielle Projekte, politische Parteien und alle, die die Sticker nutzen), aber niemand interessiert sich dafür.
Dieser Veranstalter der Ghost-Bike-Demo weiß auch, daß wir seit vier Jahren jeden Donnerstag ohne Ausnahme ab 18:00 hier am Platz der Menschenrechte demonstrieren. Ich habe ihn und seine Kollegen schon öfters eingeladen, bei uns zu sprechen. Er hat nie darauf geantwortet. Jetzt beschimpft er mich lauthals vor allen Leuten. Es sei eine Unverschämtheit, wie ich einfach das Mikro an mich reiße, dieses Gedenken störe und eine fremde Veranstaltung okkupiere. Ich versuche zu erklären, daß wir sie doch kontaktiert haben, und daß ich auch jetzt nochmal gefragt habe, ob das Programm vorbei sei und ob ich zur Donnerstagsdemo, die extra das Programm auf dieses Gedenken eingestellt und angepaßt hat und jetzt aus Respekt extra eine Pause macht, einladen darf. Er meint nur egozentrisch, bei ihm sei nichts angekommen. Als ich erwidere, daß er doch von uns wüßte und uns ja eigentlich auch kontaktieren hätte können und fragen, ob sie unsere Gäste sein können, wirft er mir vor, daß ich nicht erwarten könne, daß er an uns denke, weil unsere Donnerstagsdemo so sehr „unter jedem Radar laufe“. Etwas verwirrt über diese militärische Formulierung, und ob ihm die Polizei gar nicht gesagt habe, daß hier doch eigentlich schon eine Demo stattfindet, versuche ich zu erklären, daß wir doch nur so weinge wären, weil seine Organisation wie alle anderen nie auf meine Kooperationsangebote antworten. Ich könne so ganz alleine eben nicht mehr machen. Aber er hört nicht auf, mich laut zu beschimpfen. Weil rund um uns herum die Leute offenbar noch gedenken wollen, versuche ich ihm auszuweichen ohne von der Veranstaltung ganz davon zu laufen. Da spricht mich ein Freund des Verstorbenen an und bedankt sich für die Organisation. Ich erkläre kurz, daß ich eigentlich nicht diese Veranstaltung hier organisiere sondern die nebenan, die wegen dieser hier gerade kurz eine Pause macht, und frage, ob es gestört hat, was ich gerade eben am Mikro gesagt habe. Nein, überhaupt nicht! Gut, und herzlches Beileid!

Das Ghostbike am Platz der Menschenrechte, daß gar nicht während der Donnerstagsdemo aufgestellt werden hätte dürfen, wenn wir nicht so kooperationswillig wären.

Ein wenig später gehe ich zu unserem Stand zurück. Wir warten noch ein wenig, bis sich das Gedenken beim Ghost-Bike offensichtlich in Tratschen verwandelt hat, bis wir mit unserem Gedenken beginnen. Von unseren „Gästen“ kommt keine einzige Person zu uns rüber. Während ich beobachte, wie alle wegradeln, ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen, denke ich darüber nach, wie ich so sehr zur Sau gemacht wurde, obwohl ich doch alles getan habe, um diesen Leuten entgegenzukommen. Auf einer Beerdigung ist es ja auch ganz normal, daß danach noch zu einem Umtrunk eingeladen wird, ohne daß dies ein Problem ist. Auf der Critical Mass hat eben dieser so aufbrausende Despot auch schon öfters dazu eingeladen, anschließend gemeinsam in ein Wirtshaus zu gehen, und niemand hat ihm dies als Verkommerzialisierung dieser Fahrrad-Demonstrationen vorgeworfen. Vor allem der Vorwurf, ich hätte seine Demo „okkupiert“ verwirrt mich immer mehr. Diese Leute haben ganz offenbar nicht verstanden, daß sie eben unsere Gäste waren, weil sie Ihre Demo sonst hier nicht hätten machen dürfen. So wie die gerade jetzt heftig mit der Polizei diskutierende und dabei immer wieder auf uns zeigende Verantwortliche dieser Leseveranstaltung der Stadt Wien nicht kapiert, daß sie Gast auf einer polizeilich genehmigten und von der Verfassung geschützen Demonstration ist.
Immerhin sagt uns am Ende unseres Programms ein Gast, der im Laufe der vier Jahre schon ein paarmal kurz vorbeigeschat hat, wie toll es sei, daß wir das alles so konsequent jede Woche machen. Ich denke mir, daß es mir lieber wäre, würde er das nicht nur uns sagen sondern uns auch anderen gegenüber weiterempfehlen, freue mich aber trotzdem und danke ihm herzlich.
Und es sei schön zu sehen, meint er, wie gut wir als Team zusammenarbeiten und immer mehr dazulernten. Ja, wenn ich mich daran erinnere, wie sehr ich mich am Anfang überwinden mußte, überhaupt am Mikro zu sprechen, oder gar etwas lauter zu werden, und wenn ich vergleiche, wie wir jetzt immer freier ko-moderieren und gemeinsam singen, für unterschiedlichste Situationen spontan Lösungen finden, wie routiniert wir gemeinsam alles auf- und abbauen, dann haben wir wirklich sehr viel gelernt. Und ich bin meinem kleinen Team unendlich dankbar, wie sehr es mir zur Seite steht. Selbst als sich beim Wegfahren heute herausstellt, daß ich überhaupt keine Luft mehr im hinteren Reifen habe (irgendjemand hat die tatsächlich böswillig während der Demo ausgelassen), helfen beide noch mit, suchen eine Luftpumpe, und begleiten mich, bis ich erst Stunden später gegen Mitternacht mit all dem schweren Zeug heim komme.

Gerade an einem Tag, an dem ich so viel Ausgrenzung und Anfeindungen erleben muß, ist es besonders schön, nicht ganz alleine zu sein sondern doch FIX ZAM GEGEN RECHTS!

Oft fühle ich mich schon sehr alleine.