Alles ist gut
Einhergehend mit den für viele Menschen immer unklareren Grenzen zwischen virtueller und realer Welt, scheinen auch immer öfter Ziele und Realitäten verwechselt zu werden. Ein Beispiel dafür ist der Leitsatz „Alles ist gut!“
Gerade in schwierigen Zeiten kann es helfen, sich daran zu erinnern, daß jede Krise auch ihre Chancen für Veränderungen hat. Alles hat irgendwie auch seine guten Seiten, und wir haben immer die Wahl, diese entsprechend unseren Möglichkeiten zu nutzen. Ich habe in meinem Leben in verschiedensten sehr schwierigen Situationen gelernt, immer das beste aus dem zu machen, was gerade ist, und mich dadurch immer weiterentwickelt. Sich weiterentwickeln ist prima. Das heißt jedoch nicht, daß es gut ist, wenn Schlimmes passiert. Schicksalsschläge sind nicht an sich positiv. Es liegt – wie gesagt – an uns, nach Möglichkeit etwas Gutes daraus zu machen. Wenn wir nichts Gutes daraus machen, ist überhaupt nichts gut. „Das Beste daraus machen“ bedeutet sicher nicht rastloses Tätigsein, Herumgschaftln oder alles unter Kontrolle haben müssen sondern bewußtes, überlegtes, verantwortliches Gestalten unseres Lebens und unserer Welt. Manchmal muß dabei gar nicht viel getan sondern nur die Wahrnehmung verändert werden. Und manchmal sind Veränderungen nur möglich, wenn auch mutig eingegriffen, aktiv zugepackt und ausdauernd an etwas gearbeitet wird. Immer liegt es an uns selber, ob und wie wir das Beste aus einer Situation machen.
Leider wird dieses Ziel „Alles ist gut“ immer öfter als seltsamer universell-esoterischer Zustand gesehen, der jede Veränderung, jedes aktive Handeln, überhaupt jede Tätigkeit unnötig macht, weil ja angeblich eh schon alles gut ist. Vor allem in Kontakt mit Menschen, die gerade unter körperlicher, psychischer, sozialer oder institutioneller Gewalt leiden, ist eine solche Einstellung jedoch gar nicht hilfreich sondern im Gegenteil äußerst zynisch, ignorant und manchmal sogar retraumatisierend.
Vor allem in Konfrontation mit Mißständen wie Mißbrauch & Gewalt, Armut & Hunger, Mobbing, Krieg, Naturkatastrophen oder sonstigen Ungerechtigkeiten darf „Alles ist gut“ selbstverständlich kein Vorwand zu feiger Passivität, ignoranter Verdrängung oder gar skurriler Verklärung sein. Eigentlich wollen wir damit nicht helfen sondern nur verdrängen, uns selber aus dieser unangenehmen Situation retten, davonlaufen und diese Mißstände damit mitverantworten.
Träume alleine machen nichts gut. Wenn wir ein Ziel imaginieren, kann dies Kraft & Mut geben, um es zu erreichen. Der Satz „Alles ist gut!“ will also zur tatkräftigen, wohlüberlegten, optimistischen und mutigen Veränderung aufrufen. Weil die Veränderung oder das, was wir dabei lernen können, auch für uns gut ist. Und so ist wieder alles gut.
Mir ging es sehr lange ähnlich mit dem Satz „Alles wird gut“. Du wirst schon sehen, alles wird gut. Fakt ist, nichts wird gut ohne vorherigen Aufwand, ohne Veränderung, ohne manchmal schwerwiegende Ereignissse die einen umdenken lassen und somit Weiterentwicklung und Bewegung ermöglichen.
Wenn es mir wirklich mies ging konnte ich den Satz „Alles wird gut“ am allerwenigsten gebrauchen. Ich empfand ihn fast schon als eine Provokation oder Beleidigung meines Verstandes. Ehrlicher wäre ein „Alles wird richtig schlimm bevor es besser wird, es wird verdammt mühsam aber du wirst daraus lernen und dann wird’s wieder irgendwie besser“ gewesen. Aber dafür fehlt vielen Menschen einfach der Mut. Denn Ehrlichkeit ist oftmals schmerzhaft unangenehm.
Und so ist es viel leicher uns gegenseitig in infantilen „Alles wird gut“ Phrasen einzuhüllen um uns schmerzliche Wahrheiten zu ersparen. Aber ersparen wir uns im Endeffekt tatsächlich etwas? Ich würde eher sagen im Gegenteil.
Wir werden ohnehin schon tagtäglich von den Medien in diverse Scheinrealitäten eingehüllt die uns immer mehr von uns selbst entfernen.
Veränderung, Bewegung, Wahrheit die uns dazu führen wieder zu uns selbst und somit zueinander zu finden sind zwar manchmal in Ihren Anfängen schmerzhaft aber unverzichtbar.