Im Namen der Toten
Ethisch sensible Nutzung von historisch problematischen Räumen hat immer auch mit Gedenken zu tun. Doch was bedeutet Gedenken eigentlich? Warum ist Gedenken wichtig? Und wie können wir verhindern, daß Gedenken mißbraucht wird, lähmt, Feindbilder schürt oder sonstwie destruktiv ist?
Bei den Dreharbeiten zum Dokumantarfilm „Mit Geduld & Gottvertrauen“ (und bei der jahrelangen Mitarbeit im dokumentierten Flüchtlingshilfsprojekt) erlebte ich persönlich, wie eine ganze Stadt zum nützlichen Denkmal, zur Manifestation unreflektierter Ideologie, zum nationalistischen Wallfahrtsort hochstilisiert und damit zu endloser Depression verdammt wurde. Ein riesiger Friedhof voll unidentifizierter Toter, die obwohl zur Hälfte „feindlicher“ Abstammung angeblich alle ganz eindeutig ihr Leben nur für die eine, die gute Seite geopfert haben. Wer hat sie denn gefragt?
Unnötiges Sterben ist immer schrecklich, egal ob in Kriegen, im Holocaust oder durch unser ständiges, ignorantes, verschwenderisches Verhungernlassen. Jede_r Tote ist ein herzzerreißendes Schicksal. Und Trauer schlägt wohl immer irgendwann mal auch in Wut um. Doch diese Wut bringt keine Lösung. Nicht nur weil sie wieder neues, entsetzliches Leid erzeugt, weil sich Konflikte so immer mehr aufschaukeln, unmenschlich eskalieren, über viele Generationen verfestigen, sondern auch weil in dieser Sackgasse der Trauer kein würdiges Gedenken, kein erlösender Abschied und schon gar keine Weiterentwicklung zu finden ist.
Wenn Schmerzvermeidung zu Projektionen oder gar zur Legitimation weiterer Ungerechtigkeiten führt, ist dies sicher nicht die gesündeste Form von Trauer und entspricht wohl auch selten dem Willen der Verstorbenen. Keine Hexe, kein Christ, kein Jude starb dafür, daß deshalb andere sterben sollen. Im Namen der Toten zu töten, ehrt gar niemanden.
Wenn wir verhindern wollen, daß jemand sinnlos starb, müssen wir das Sterben selbst verhindern. Gedenken bedeutet Erinnern um zu lernen. Lernen um es besser zu machen, um nicht die gleichen Fehler immer wieder zu machen, um aus Teufelskreisen auszusteigen, um den Fluch der endlosen Wiederholung zu brechen. Wir müssen uns weiterentwickeln, um uns zu erlösen. Und am meisten lernen wir, wenn wir uns in andere hineinversetzen. Nicht in die, mit denen wir uns gerne identifizieren. Da gibt’s nicht viel dabei zu lernen. Aber je mehr wir den Feind, den Abschaum, das Böse, seine Situation & Beweggründe verstehen & nachfühlen können, umso friedensfähiger aber auch persönlich vollständiger werden wir.
Wann haben wir also das letzte Mal versucht, uns in Terroristen reinzufühlen?
Und in Generäle, Politiker, Manager, Mitläufer?
[…] wissen wir, daß Leid nie anderes Leid entschuldigen oder gar legitimieren kann. Auf keiner Seite. Im Namen der Toten zu töten, ehrt niemanden. Eine dauerhafte Lösung kann nur ein möglichst gemeinschaftliches, helfendes Miteinander sein. […]
Warum wir uns mit Gewalt auch selber schaden.