Den verborgenen Schatz hinter dem Regenbogen finden – warum Vielfalt unser Leben erschwert & bereichert

Wie alle an der Gehörlosenkultur interessierten, hörenden Menschen dachte ich viele Jahre, daß es besser wäre, wenn es weltweit eine Gebärdensprache gäbe. Ich wußte zwar, daß sich ebenso wie bei Lautsprachen selbstverständlich (und aufgrund der noch stärkeren Isolierung hier noch zwingender) unterschiedliche Sprachen und Dialekte entwickelt haben, und aufgrund meiner künstlerischen Erfahrungen schätze ich individuelle Unterschiede in jeder Form des Ausdrucks.

Die wahre Schönheit der Vielfalt habe ich jedoch erst mit der Seite spreadthesign kennengelernt.

Als ehemaliger Tänzer war natürlich einer der ersten Begriffe „tanzen„, und auch wenn mir selbstverständlich schon davor bewußt war, daß es verschiedene Arten zu tanzen gab, so wurde durch die vielen anschaulichen und so unterschiedlichen Gebärden wieder so richtig klar, welche Welten zwischen brasilianischem Samba und finnischem Humppa liegen.

Da wird geschunkelt und gedreht, abstrakt mit den Fingern oder konkret mit dem ganzen Körper gezeigt, welche Bedeutung und welche Ausprägung Tanz in der jeweiligen Kultur eben hat.

Wie schade wäre das, wenn es nur eine Art zu Tanzen gäbe! Grauenvoll, wäre das womöglich noch die des ostasiatischen Youtube-Klickgewinners.
Und wie schön, daß es Vielfalt gibt, ja daß alle Menschen unterschiedlich sind!
Ja, natürlich bedeuten viele verschiedene Sprachen und unterschiedliche Menschen, daß es schwieriger wird, sich zu verständigen. Andere nicht zu verstehen, verunsichert unvermeidbar, verängstigt manchmal sogar oder kann gar Paranoia schüren. Und immer wieder Mißverständnisse klären zu müssen, ist anstrengend und frustrierend – vor allem wenn nicht alle Seiten bereit und fähig dazu sind.
Je ähnlicher mir mein Gegenüber ist, umso eher werde ich verstanden, umso weniger muß ich mich erklären, kann einfach sein, wie ich bin. Doch Monokultur wird schnell zu Monotonie. Wäre eine Welt voller Klone meiner selbst nicht unerträglich langweilig? Warum sollten wir einander zuhören, wenn wir eh alles wüßten, wenn wir uns nichts Neues mitteilen könnten? Und wie könnten wir uns so weiterentwickeln? Wie könnte es in dieser Gleichförmigkeits-Hölle je etwas Neues geben?

Kommunikation bedeutet immer, auf Entdeckungsreise zu gehen in den Begrifflichkeiten, Gedanken und Erfahrungen meines Gegenübers.
Und wenn ich diese auch in mir finden oder entwickeln kann, entstehen Gemeinsamkeiten, die die Grundlage und den Nährboden bilden, um zusammen etwas Neues entstehen zu lassen. Je vielseitiger diese Gemeinsamkeiten sind, umso abwechslungsreicher wird auch mein Leben, umso facettenreicher meine Persönlichkeit, und umso leichter wird es mir fallen, mit immer unterschiedlicheren Menschen immer tiefer gehende, wertvolle und bereichernde Gemeinsamkeiten zu finden.

Viele unterschiedliche Sprachen, Wörter, Gebärden, Eigenarten sind der Ausdruck vieler wertvoller Erfahrungen, vieler Leben, vieler Tänze.

Gesellschaftlich bleibt das konstruktivste Ziel von Kommunikation, gemeinsame Nenner zu finden, also Begriffe, die möglichst alle begreifen können, um so die Unterschiedlichkeiten zu verschiedenen Teilen einer größeren Zusammengehörigkeit zu verbinden.

Und je kleiner eine Gemeinsamkeit ist, umso schwieriger ist, sie zu entdecken. Und manchmal gibt es so viele kleine Übereinstimmungen, daß wir sie gar nicht sehen – oder nicht sehen wollen. Denn die Unterscheidung von einem verbindet uns mit anderem. Es gibt ja kaum Schöneres, als gemeinsam zu schimpfen. Und doch können wir etwas spielerischer damit umgehen und einen Schritt weiter gehen. Dann schaffen wir es vielleicht auch, mit allem verbunden zu sein.

Es liegt an uns, ob wir nur Trennendes oder auch Verbindendes suchen wollen, ob wir kommunizieren oder kämpfen, ob wir zerstören oder aufbauen. Auch ein gemeinsamer Wortschatz muß erst gefunden werden. Die geheime Schatzkarte finden wir nur im Gegenüber.

Laßt uns zusammen auf Schatzsuche gehen !)

(Alle Videos hier sind von der Seite spreadthesign und im Besitz des European Sign Language Center. Ihr findet dort die Auflösung, welche der hier abgebildeten Tanz-Gebärden zu welcher Sprache gehören und noch viel mehr Tanz- und ganz viele andere Gebärden.)